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Päpste und Küsten: Dimensionen maritimer Politik im Früh- und Hochmittelalter

Dr. Kordula Wolf

Der Besitz und die Kontrolle ausgedehnter Küstengebiete am Mittelmeer spielten für die Bischöfe der Römischen Kirche eine wichtige Rolle. Ihre Politik hatte eine bisher kaum beachtete maritime Dimension. Kordula Wolf vom Deutschen Historischen Institut in Rom untersucht Regionen in Meeresnähe als hybride Räume und fragt, wie diese im Früh- und Hochmittelalter seitens der Päpste angeeignet und wahrgenommen wurden.


Ohne den Schutz bestimmter Küstenräume wäre das Papsttum im Mittelalter mehrmals ernsthaft bedroht gewesen. Langfristig hätte sich möglicherweise gar kein Kirchenstaat herausbilden können. Diese scheinbar unwahrscheinliche Gefahr findet sich als Drohszenario zum Beispiel in einigen Briefen von Papst Johannes VIII. (872–882). Zu dieser Zeit gab es in Sizilien ein Emirat, und der südliche Teil der italienischen Halbinsel war über viele Jahrzehnte hinweg Eroberungen, Plünderungen und Sklavenjagden ausgesetzt. Für den Papst stellte das aus zwei Gründen ein Problem dar: Erstens kooperierten christliche Lokalherrscher häufig mit den „Sarazenen“ (so wurden die Muslime in den lateinischen Quellen genannt). Deren Aktionsradius verschob sich dadurch in die zu Rom und zur römischen Kirche gehörigen Gebiete. Diese Gebiete wurden durch die andauernden Konflikte stark in Mitleidenschaft gezogen, sowohl wirtschaftlich als auch demografisch. Zweitens standen dem römischen Bischof kein eigenes schlagkräftiges Heer und keine Flotte zur Verfügung. Deshalb brauchte er im Ernstfall starke Verbündete: die westlichen und oströmischen Kaiser, die Könige Reichsitaliens oder die regionalen Machthaber. Der Küstenschutz war für den Papst somit essentiell. Doch diese maritime Dimension der päpstlichen Politik blieb in der landfixierten Forschung zur Geschichte des mittelalterlichen Papsttums und zur Entstehung des Kirchenstaats bislang weitgehend ausgeblendet.

Päpstliche Küsten

Welche Territorien zur römischen Kirche gehörten, änderte sich im Laufe der Jahrhunderte. In der Frühzeit noch lose im Mittelmeerraum verstreut, lagen sie seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts vor allem in Ober- und Mittelitalien, mit ausgedehnten Küstenabschnitten am Tyrrhenischen Meer und an der Adria. Auf einige dieser Gebiete und auf andere Regionen weiter im Süden erhoben die Päpste lediglich Ansprüche, ohne dort faktisch weltliche Macht auszuüben. Aber selbst dort, wo eine päpstliche Herrschaft bestand, war eine effektive Kontrolle oftmals kaum möglich. Zumal sich Grenzen während des Mittelalters immer wieder verschoben und man sich keinen modernen Flächenstaat im heutigen Sinne vorstellen sollte, sondern eher einen löchrigen Teppich aus räumlich verstreuten Flicken. Bei diesen Besonderheiten der Küstenregionen, die zum sogenannten Patrimonium Petri gehörten (patrimonium = wörtl. Erbbesitz; Petri = Genitiv von Petrus, Apostel, auf den das päpstliche Amtsverständnis zurückgeht), bleibt mein Forschungsprojekt jedoch nicht stehen.

Küsten als hybride Räume

Aus raumtheoretischer Sicht sind Küsten Räume, die sich einerseits unter Einwirkung ganz unterschiedlicher Faktoren fortwährend verändern. Andererseits stellen sie an die Menschen, die sie bewohnen und dominieren, spezielle Herausforderungen und bieten ihnen zugleich besondere Ressourcen und Möglichkeiten. Eine historische Untersuchung meernaher Regionen als hybride Räume integriert dabei mehrere Ebenen:

● eine topografische, die durch die unscharfe Grenze zwischen Land und Wasser bestimmt ist;

● eine verflechtungsgeschichtliche, die auf Austausch, Transfer, Vernetzung fokussiert und lokale wie transregionale Perspektiven miteinander verbindet;

● eine politisch-administrative, die sich mit unterschiedlichen Macht- und Besitzverhältnissen bzw. -ansprüchen auseinandersetzt;

● eine ökonomische, die lokale Ressourcen, Wirtschaft und Handel einbezieht;

● eine sozial- und mentalitätsgeschichtliche, die darauf eingeht, wie sich Menschen Raum aneignen, ihn bewohnen, verändern, strukturieren und schützen – gerade auch angesichts umwelt- und klimabedingter Unwägbarkeiten und vom Meer drohender Gefahren;

● und schließlich: eine perzeptive, die sich mit unterschiedlichen Raumwahrnehmungen beschäftigt.

Neue Perspektiven

Die Fallstudie zu den Küstenregionen der Römischen Kirche als Hybridräumen analysiert das Ineinandergreifen all dieser Ebenen im historischen Längsschnitt vom 6. bis zum 12. Jahrhundert und leistet dadurch einen neuen Beitrag zur Mediterranistik. Zugleich erweitert sie die Forschungen zur Geschichte der Päpste und des Kirchenstaats um eine maritime Perspektive. Denn erstmals wird herausgearbeitet, welche Relevanz Küstengebiete für die Päpste und für die Stadt Rom im Früh- und Hochmittelalter hatten. Pointiert und unter Bezug auf das eingangs erwähnte Beispiel könnte man auch sagen: Wäre es den Muslimen im 9. Jahrhundert gelungen, den tyrrhenischen Küstenabschnitt Mittelitaliens zu kontrollieren und über Land- und Wasserwege das unweit vom Meer gelegene Rom, das Zentrum des katholischen Christentums, einzunehmen, wäre die Geschichte der Apenninenhalbinsel und Europas wohl ganz anders verlaufen …

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